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Q7 Pocken, Masern und die Spanische Grippe

Ergänzungen zu Q7 „Pocken, Masern und die Spanische Grippe“, erschienen 2022

Das Buch „Pocken, Masern und die Spanische Grippe“ sollte im Dezember 2021 erscheinen. Das wurde aber auf Februar 2022 verschoben.

Insgesamt hat die Verzögerung dem Buch m.E. gut getan, weil ich nochmal komplett drüber weggegangen bin und vor allem den Artikel über die Friedhöfe vergrößert habe (von 16 auf über 40 Seiten) – da wollte ich immer schon mal dran, habs aber immer vor mir hergeschoben.

Natürlich sind immer noch Fehler und Ergänzungen drin. Tippfehler wie „Turnhalle“ statt „Turmhalle“ auf Seite 125, aber auch, daß Wendel Scheffler auf dem Winkenbachhof geboren wurde, nicht in Winterbach (S. 477).

Schlimm isses bei „meiner“ Beispielsfamilie auf S. 29-30 bzw. 418-419

Hier bin ich leider dem ältesten Fehler aufgesessen, den ein Familienforscher machen kann: Überprüfung der Quelle. Ich habe die Daten aus Rudolf Gerbers Aufzeichnungen übernommen und erst nach der Veröffentlichung ihre Plausibilität überprüft.
War’n Fehler. Hätte ichs gleich gemacht, hätte ich gesehen, daß zwischen der Geburt des zweitletzten (30.12.1806) und des letzten mutmaßlichen Kindes (05.01.1807) nur 6 Tage liegen – selbst für St. Wendeler Verhältnisse ungewöhnlich knapp.
Also prüfte ich das Geburtsdatum des zweiten Kindes im Standesamt und im Kirchenbuch und siehe da, es existierte nicht. Außerdem stand im Sterbeeintrag, daß Kind sei 45 Jahre alt gewesen. Womit klar wurde, daß das Kind Nr. 11 Anna Maria, +05.01.1807 tatsächlich die Mutter aller Kinder dieser Familie war, Anna Maria Gessner, *18.11.1762 in St. Wendel, +05.01.1807 im Kindbett.

Oh, Sie fragen sich, warum die Mutter Anna Maria heißt und nicht Maria Magdalena, wie’s im Buch steht? Das ist eine berechtigte Frage. In St. Wendel gab es Mitte des 18. Jahrhunderts einen Pfarrer namens Nikolaus Braun, der Papierkram noch weniger mochte als ich damals unter Spieß Rudi bei der Wunderwehr (sorry, andere Baustelle). Er machte zahlreiche Einträge und kassierte auch die Stolgebühren, aber seine Einträge wurden mit der Zeit immer chaotischer und unregelmäßiger. Irgendwann arbeitete Nikolaus Lochen, Dechant zu Wadrill, sein Vorgesetzter, die Daten neu auf und erfaßte sie in knappen Listen mit sehr knappen Angaben.
Deshalb gibt es in St. Wendel zwischen 17paar fünfzig und 17 circa 75 bisweilen unterschiedliche Angaben zu Daten oder Namen – das nebenbei. In Brauns Aufstellung von 1762 findet sich am 18. November der Geburts- und Taufeintrag von Maria Magdalena Gessner, die als Anna Maria Gessner 1789 heiratete und als Anna Maria Gessner am 05.01.1807 starb.

Während Braun seine Einträge pfarreiübergreifend chronologisch vornahm, trug Lochen zuerst getrennt nach Pfarrorten und dort erst chronologisch ein. Trotzdem habe ich bei Lochen in 1762 keinen Eintrag für ein Kind gefunden, das mit Nachnamen „Gessner“ hieß, also weder eine Anna Maria noch eine Maria Magdalena. Oh Maria hilf.

Übrigens: In drei Notariatsakten von 1799, 1801 und 1803 wird sie „Anna Maria“ genannt.

Hier ist nun der richtige Datensatz, wie er eigentlich im Buch stehen sollte:

Franz Karl Weisgerber, Schmied
S.v. Peter und Maria Riefer
*29.11.1760 Wnd +10.09.1821 Wnd
oo 01.09.1789 Wnd
Anna Maria Magdalena Gessner
T.v. Nikolaus Gessner und Anna Maria Greif
*18.11.1762 Wnd +05.01.1807 Wnd
in puerperio (Wochenbett)

Kinder von Franz Weisgerber und Maria Gessner:
i. Johann *12.02.1792 Wnd
ii. Wendel *29.03.1794 Wnd +29.03.1799 Wnd
ex variolis (Pocken) an seinem Geburtstag!
iii. Heinrich *11.08.1796 Wnd +03.01.1798 Wnd
iv. Barbara *04.08.1798 Wnd +24.03.1799 Wnd
ex variolis (Pocken)
v. Barbara *28.01.1800 Wnd +09.11.1800 Wnd
vi. Wendel *13.09.1801 Wnd +28.02.1870 Wnd
vii. Adrian *26.04.1804 Wnd +05.12.1804 Wnd
ex variolis (Pocken)
viii. Anna Maria *26.04.1804 Wnd +10.12.1804 Wnd
ex variolis (Pocken)
ix. Tochter *02.01.1806 Wnd +02.01.1806 Wnd
x. Tochter *30.12.1806 Wnd +30.12.1806 Wnd

Was aus dem ältesten Sohn Johann wurde, habe ich nicht ermitteln können. Ggf. hat er überlegt, wie sich aus einem Notariatsakt von 1815 erahnen läßt: Darin lassen die Vormunde „der Franz Karl Weisgerberschen Kinder“ Güter versteigern (Landesarchiv Saarbrücken, Notariat St. Wendel, Notar Eschrich Nr. 93 vom 02.03.1815). Leider werden die Kinder nicht mit Namen genannt. Aber der Plural zeigt, daß es mehr als nur ein Kind war – und einen anderen passenden „Franz Karl Weisgerber“ fand ich nicht. Auch in einem Akt vom 11.11.1827 werden sie so genannt (Notar Hen, Nr. 395 vom 11.11.1827).

Der 1801 geborene Sohn Wendel arbeitet 1831 als Schlossergeselle in Paris und kehrt irgendwann danach nach St. Wendel zurück. Er stirbt ledig im Hospital in St. Wendel am 28.02.1870.

Ergänzungen gibt es auch, z.B. auf Seite 199 bei der Krankheit „ex ansarcha“
Einem aufmerksamen Leser – Joachim Schmitz aus St. Wendel – verdanken wir die Auflösung dieser Krankheitsbezeichnung.

„Etwas länger habe ich gebraucht, um die ungeklärte Bedeutung von „ansarcha“ herauszufinden. In dieser Schreibweise findet sich das Wort in einer medizinischen Handschrift des 14. Jahrhunderts in Oxford. Die Zusammenstellung „ansarcha et yposarcha“ brachte mich auf die richtige Spur. Griechisch (h)ypo heißt „unter“, „ana“ heißt „auf“. Also habe ich bei den antiken Medizinschriftstellern nach anasarca gesucht (das „h“ nach dem „c“ spielt im Lateinischen keine Rolle, es wird sowieso nicht gesprochen). Bei Galenos, dem bedeutendsten Arzt der Antike, Leibarzt der röm. Kaiser in der 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr., bin ich fündig geworden:
„Galen, über die natürlichen Fähigkeiten 1, 11, 24: „Die sogenannte weiße (Lepra) zeigt den Unterschied zwischen Ähnlichkeit und Anwachsen, wie die Art der Wassersucht, die manche Leute ana sarka („auf dem Fleisch) nennen, ganz genau Vermehrung von Anwachsen abgrenzt.“
Das läßt sich so interpretieren: „Bei der ana sarka sei das Unterhautgewebe weich und gebe auf Druck nach, bei der weißen Lepra sei es verhärtet.““

wikipedia:
Eine Anasarka (gr. hydrps ana sarka, über der Muskulatur) ist ein nicht-entzündliches Ödem des Unterhautzellgewebes (Hautwassersucht).
Das Ödem (aus dem Altgriechischen, deutsch ‚Schwellung‘) oder die „Wassersucht“ ist eine Schwellung von Körpergewebe aufgrund einer Einlagerung von Flüssigkeit aus dem Gefäßsystem. Die Flüssigkeit wird meist in Weichteilen eingelagert, zum Beispiel im Rücken oder an den Flanken. Ein solches Ödem tritt häufig bei Patienten mit einer Rechtsherzinsuffizienz, einer vermehrten Flüssigkeitszufuhr bei reduzierter Urinausscheidung oder fehlender Urinausscheidung auf. Ebenso kann es bei Proteinmangel beobachtet werden.

PS: Ernst Lauer aus Dillingen verwies in diesem Zusammenhang auf das Buch „Ein deutscher Traktat über die Wassersucht“ von Friedrich Schelling, Leipzig, 1913, S.9/10.

Ergebenst

Roland Geiger